Juristl: Iudex non Calculat – die digitalisierung der Rechtsbranche

Story for Juristl, the Viennese Law Faculty’s Quarterly magazine. Interviewing Sophie Martinetz CEO and Founder of future-law.at, a competency center consulting on the digitalization of the legal sector and the future of the legal profession.

Ein Artikel für das Juristl, ein vierteljährlich erscheinende Magazin der Wiener Juridischen Fakultät. Im Interview mit Sophie Martinetz, Geschäftsführerin und Gründerin von future-law.at, einem Kompetenzzentrum, das über die Digitalisierung des Rechtsbranche berät und sich mit der Zukunft des Rechtsanwaltsberufs auseinandersetzt.

Mit Legal Tech, also der Digitalisierung der Rechtsbranche, wird eine neue Phase der Anwaltei eingeläutet. Obwohl der große Durchbruch noch kommen wird, gibt es bereits jetzt Möglichkeiten, sich die Digitalisierung in der Juristerei zunutze zu machen und das bedeutet wiederum eine Veränderung des Arbeitsalltags für zukünftige Anwältinnen und Anwälte. Im Interview mit Sophie Martinetz sprechen wir über die Auswirkungen der Digitalisierung für BerufseinsteigerInnen, wie man das Studium an die neuen Anforderungen anpassen kann und warum denken gelernt sein mag.

In Österreich gibt es derzeit circa 6300 Rechts­ anwälte und Rechtsanwältinnen, hingegen aber eine weitaus größere Zahl an Studierenden des Studienganges Rechtswissenschaften (Diplom). Ein rechtswissenschaftliches Studium kann eine Grundlage für eine Vielzahl von beruflichen Möglichkeiten darstellen, wie auch der Werde­ gang von Mag.a Sophie Martinetz zeigt.

Das Jus­Studium war rückblickend eine sehr gute Entscheidung, neben dem Fachwissen bekommt man bei dieser Ausbildung auch Disziplin vermittelt und lernt ‚zu denken‘. Außerdem dreht sich im Leben alles um Verträge, wie ich später festgestellt habe“, lachend fügt Sie hinzu, dass es wahrscheinlich eine juristische Krankheit sei, den Alltag als eine Ansammlung von Verträgen wahrzunehmen.

Ich bin ehrlich gesagt ein bunter Hund und habe vielleicht nicht die traditionellste juristische Route gewählt. Neben dem Studium habe ich eigentlich immer mindestens dreißig Stunden gearbeitet und das meistens im Kulturbetrieb, zum Beispiel in der Staatsoper, im Kindertheater oder bei einer Werbeagentur. In diese Richtung hat es mich dann auch nach dem Studium ver­ schlagen und ich bin in die Filmproduktions­branche gegangen, um dort im Casting und als Produktionsleitungsassistentin tätig zu sein.
Die Filmbranche war wie ein roter Faden, wel­ cher sich auch durch die Anfänge meiner juristi­ schen Tätigkeit gezogen hat. Als ich nämlich später nach Berlin ging, habe ich als In­House Juristin bei der UFA angefangen (der größten Film­ und Fernsehproduktion Europas). Ich kann nun aus Erfahrung sagen, dass es ziemlich lustig ist Verträge für Jamie Oliver oder Deutschland sucht den Superstar aufzusetzen. Mit meinem roten Faden des Medienrechts in der Hand bin ich für die UFA weiter nach London gegangen und habe dazwischen noch eine Businesschool für Film und Fernsehen gemacht.

Danach habe ich mich in London bei Barclay‘s Corporate Banking beworben, um Teil ihres Teams für Corporate Finance für Medien zu werden. Die juristische Arbeit hielt sich ab die­ sem Zeitpunkt in Grenzen, ich war mehr in der Kreditabteilung tätig und habe dort auch ein Global Business Development Team für Barclay‘s in 23 Ländern aufgebaut und geleitet. Ich bin dann nach Österreich zurückgekehrt und war für die Bawag PSK und Cerberus (Capital Manage­ ment) tätig, ebenfalls in der Vertriebssteuerung. Dann habe ich mein eigenes Unternehmen gegründet, das Services für AnwältInnen anbie­ tet. Seit vier Jahren betreiben wir auch Future­ Law, wo wir uns mit dem Thema Digitalisierung und Recht auseinandersetzen.

Was ist Future-Law denn konkret?

Future­Law ist Wissens­ und Kompetenzzentrum und ein Advisor für die Digitalisierung im Recht. Wir sind zum Beispiel Innovationsmanager für die sieben größten Anwaltskanzleien Österreichs im Legal Tech Hub Vienna. Als Themenführer veranstalten wir zusätzlich die größte Legal Tech Konferenz Österreichs, Legal Tech Stammtische und laufend Umfragen zu dem Thema Legal Tech und Digitalisierung. Außerdem sind wir Advisor vor allem für Rechtsabteilungen, wenn es um das Thema ‚Wie digitalisiere ich meine Rechts­abteilung?‘ geht.

Sie haben jetzt viele Themen ange- sprochen, welche vor dem Hintergrund Veränderung stehen und in dieser schnell- lebigen Zeit ändern sich dementspre- chend auch die Anforderungen an den/ die Juristen/ Juristin. Was würden Sie Studierenden empfehlen, um sich auf die Arbeitswelt und die Konsequenzen der Marktveränderung vorzubereiten?

Ich sage es gerade heraus: Wir wissen alle nicht, was man für die Jobs von morgen wirklich braucht. Was man konkret für die Juristerei sagen kann ist, dass wir so gut wie möglich ausgebildete Juristinnen und Juristen brauchen. Vor allem in dieser immer komplexer werdenden Welt brauchen wir meiner Meinung nach einer­ seits mehr Generalisten, welche Dinge in Frage stellen werden und auf der anderen Seite mehr Spezialisten, welche in den einzelnen komplexen Fachgebieten Expertise besitzen. Das anfänglich angesprochene ‚lernen zu denken‘ wird man also weiterhin definitiv brauchen.

Römisches Recht braucht man am Anfang, um juristisch denken zu lernen und dasselbe kann man auf die Technik umlegen. Der/die mutige JuristIn sollte fragen „wie funktioniert ein Algorithmus“ und nicht blind auf die Künstliche Intelligenz nutzende Maschine vertrauen. Angewandtes kritisches Denken wird also einer dieser Anforderungen entsprechen.

Der zweite Aspekt ist natürlich die Digitalisierung, welche (Spoiler!) definitiv im Anmarsch ist. Um ein Smartphone zu benutzen, hat niemand von uns Informatik studiert und zukünftig werden die Tools auch im beruflichen Umfeld so nutzer­ freundlich sein, dass das auch gar nicht notwen­ dig ist. Technologisches Verständnis sollte aller­ dings Grundbaustein in allen Studiengängen sein und vor allem im Jus­Studium nicht nur ein Wahlfachkorb sein.

Sie haben jetzt bereits angeschnitten, wie prägend die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung zukünftig sein wird. Welches Rollenbild und welche Aufgaben können auf den/die Berufseinsteigenden im Rechtsbereich warten?

Routinearbeit wird es immer geben, allerdings werden alle automatisierbaren Prozesse auto­ matisiert. Wir dürfen bei dieser Thematik nicht vergessen, dass Automatisierung in Begleitung von immer größer werdenden Datenmengen kommen wird und die manuelle Verarbeitung auch mit dreißig Konzipienten nicht bewältigbar wäre. Die von den digitalen Tools verarbeiteten Daten müssen natürlich nochmals von jeman­ dem überprüft werden, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass in den nächsten zwanzig Jahren alles auf Knopfdruck gehen wird. Es entsteht also eine neue Art von Routinearbeit.

Ein kleiner Tipp am Rande wäre, sich vielleicht jetzt schon mal die eigene Webseite zu basteln und sich die Frage zu stellen ‚Wie funktioniert sowas?‘ anstatt immer nur links oder rechts in der Freizeit ‚zu swipen‘. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Technologie wäre schon ein guter Anfang.

Wir haben bereits das Wort KonzipientIn fallen lassen und es wird immer wie- der geraunt, dass mit dem Einzug der Digitalisierung vor allem zeit- und arbeits- aufwendige Aufgaben in den Kanzleien, meist durch RechtsanwaltsanwärterInnen verrichtet, wegfallen werden. Folgt daraus ein Obsoletwerden der AnwärterInnen und wie wirkt sich das generell auf das Berufsfeld aus?

Aus Erfahrung kann ich sagen, dass alle, die derzeit Digitalisierungsprojekte umsetzen nicht weniger, sondern mehr Leute brauchen. Alle diese Tools müssen gefüttert, gewartet, imple­ mentiert, verstanden werden. Es werden jedoch künftig zwei Kernkompetenzen hinzukommen: Projektmanagement, was jede/r gute Anwalt/ Anwältin zwar jetzt schon als Ass im Ärmel hat, aber noch komplexer wird und eigenes Personal und Kommunikation fordern wird. Viele der standardisierten Aufgaben werden von Man­ dantInnen nicht mehr bezahlt, weswegen die Kommunikation immer stärker in den Vorder­ grund rücken wird. MandantInnen wollen infor­ miert werden und suchen eine Ansprechperson und kein fünf Seiten langes Dokument.

Es sei also Vorsicht geboten, denn das heißt nicht, dass durch LegalTech alles günstiger wer­ den wird, ganz im Gegenteil, denn die Systeme und Tools sind teuer und auch die damit verbun­ dene Arbeit muss mit eingerechnet werden.

Was bedeutet diese Veränderung der Arb- eitswelt für den Aufbau des Studiums und wo sehen Sie die größten Chancen für Weiterentwicklung, Umdenken oder Neuerung?

Vorweg würde ich gern sagen, dass es an der juristischen Fakultät ja bereits eine große Neuerung gibt: Das Institut für Digitalisierung und Innovation. Ein großes Lob an dieser Stelle auch an Nikolaus Forgo, welcher mit diesem Projekt wirklich Mehrwert schafft.

Als ich damals studiert habe, konnte ich mir die Arbeitswelt nicht vorstellen, denn die gelebte Welt am Juridicum war eine vollkommen andere. Ein erster Schritt wäre also, im Eigenstudium Technologie einzusetzen, was nicht bedeuten soll, dass jede Prüfung Multiple Choice am Computer sein sollte, sondern dass man Studierende an die Materie heranführt, gleich der Vorbereitung auf die Diplomarbeiten.

Digitalisierung ist kein Wahlfachkorb, sie ist eine Voraussetzung, weswegen ich mir für die Stu­ dierenden wünsche, dass sich alle ProfessorInnen Gedanken machen, welche Anwendungsfälle es in ihrem Fachgebiet gibt. Es sollte natürlich aber auch etwas von Seiten der Studierenden kom­ men, ein wenig Eigeninitiative oder Hinterfragen.

Future-Law‘s Initiative ‚NextGeneration‘ bietet Studierenden/DiplomandInnen/ DoktorandInnen ein Netzwerk für verein- fachten Zugang zur Rechtsbranche. Warum haben Sie dieses Programm ins Leben gerufen und wie unterstützt es die Teilnehmenden konkret?

Die NextGeneration ist mir persönlich ein großes Anliegen und wir erhalten laufend wirklich groß­ artige Bewerbungen. Es geht darum, jene Menschen zu finden, welche bereits jetzt an der Schnittstelle Recht und Technik aktiv sind und diese zu fördern und als MeinungsmacherIn der Zukunft zu präsentieren. Wir bieten in diesem Netzwerk inhaltlichen Austausch bei NextGen Frühstücken, wobei aus der Gemeinschaft Mit­ glieder zum Beispiel Forschungsergebnisse aus ihren Diplomarbeiten präsentieren und wir laden zu unserer Legal Tech Konferenz ein. 2020 vergeben wir zum ersten Mal einen Award für die besten Diplomarbeiten und Dissertationen zum Thema Legal & Tech.